Schule heute Interview: Familiengrundschulzentren – Finanzierung langfristig sichern
Immer mehr Grundschulen folgen dem Konzept der Familiengrundschulzentren und etablieren sich als Familiengrundschulzentrum. Bereits im Jahr 2015 hat die Wübben Stiftung Bildung zusammen mit der Stadt Gelsenkirchen in einer Entwicklungspartnerschaft damit begonnen, Grundschulen zu Familienzentren weiterzuentwickeln.
Interview mit Dr. Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung:
Sh: Was genau ist unter dem Modell der Familiengrundschulzentren zu verstehen? Welches Ziel verfolgt das Konzept?
Markus Warnke: Familiengrundschulzentren (FGZ) schließen an das erfolgreiche Konzept der Familienzentren an Kitas an und schließen damit die Lücke in der Präventionskette, die nach dem Kita-Besuch mit Schuleintritt noch besteht. Die Schulen öffnen sich als Familienzentren für die Eltern und den Stadtteil und entwickeln sich zu Orten der Begegnung, Beratung und Bildung für Kinder und ihre Familien. Sie bündeln verschiedene, insbesondere präventive Angebote an der Grundschule. Federführend dabei ist die Leitung des FGZ – eine zusätzliche Personalressource, die eng mit allen an Schule tätigen Personen und weiteren Kooperationspartner zusammenarbeitet. Dadurch wird die Schule zu einer Anlaufstelle für Familien und zu einem sozialräumlichen Knotenpunkt, an dem Eltern und Kinder zusammenkommen. So sollen die Erziehungs- und Bildungspartnerschaften gestärkt und die Bildungschancen der Kinder verbessert werden.
Sh: Inwiefern tragen Familiengrundschulzentren dazu bei, Bildungsbenachteiligungen abzubauen? Wie wichtig ist die Fokussierung auf die Bildungsförderung?
Warnke: Eltern sind aus unserer Sicht die wichtigsten Bildungsbegleiter ihrer Kinder. Gerade in der Grundschule spielen sie eine zentrale Rolle und das Bildungssystem in Deutschland ist darauf ausgerichtet bzw. verlässt sich darauf, dass Eltern zuhause ihre Kinder beim Lernen unterstützen. Gerade in sozialen Brennpunkten treffen wir auf viele Familien, die selbst keine positive Erfahrung mit Schule gemacht haben, die Vorbehalte haben und auch Sprachbarrieren. Wenn wir also Bildungsbenachteiligungen abbauen wollen, ist es wichtig diese Eltern näher an die Schule ihrer Kinder heranzuführen, Hemmnisse abzubauen und zwischen Schule und Eltern eine echte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft für das Kind einzugehen
Sh: In Familiengrundschulzentren laufen viele Professionen zusammen. Sie ziehen an einem Strang. Wie wichtig ist die Verzahnung dieser Bereiche?
Warnke: Ein Ziel bei der Entwicklung zum FGZ ist es, bestehende Angebote zu bündeln. Das Familiengrundschulzentrum lebt daher zum einen von seiner Vernetzung mit Akteuren innerhalb des Sozialraums und mit anderen außerschulischen Partnern wie Erziehungsberatungsstellen und Familienbildungsstätten. Zum anderen ist die multiprofessionelle Kooperation der Beteiligten innerhalb der Schule essenziell. Schulleitung, die Leitung des Offenen Ganztag (OGS), Schulsozialarbeit und die Leitung des FGZ sollten in stetigem Austausch sein und einer gemeinsamen Vision folgen. Der gesamtheitliche Blick auf die Schülerinnen und Schüler sowie deren Familien kann helfen, Unterstützungsbedarfe schon früh zu identifizieren und diese durch die entsprechende Profession zugänglich zu machen.
Sh: Und welche Herausforderungen gibt es vor diesem Hintergrund bei der Umsetzung?
Warnke: Das Nebeneinander der verschiedenen Professionen an Schule bedarf immer wieder des Austausches, der Abstimmung sowie der Rollenklärung. Das sind zeitintensive Prozesse. Darüber hinaus stellen die unterschiedlichen Anstellungsverhältnisse eine Herausforderung dar. So liegt die Stelle der OGS bei der Kommune und wird meist durch einen Träger umgesetzt, die Stelle Schulsozialarbeit kommt von Kommune oder Land, die FGZ-Stelle liegt wieder bei der Kommune und kann ebenfalls durch einen Träger umgesetzt werden. Man sieht: viele Perspektiven und viele Akteure, die da zusammenfinden müssen. Zudem ist in NRW weiterhin die Finanzierung der FGZ nicht langfristig gesichert. So können Stellen meist nur in Jahresverträgen besetzt werden und das führt zu einer großen Planungsunsicherheit bei Kommune, Träger, Schule und Fachkraft.
Sh: In einer Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag wurde kürzlich der Ausbau von mehr Grundschulen zu Familienzentren gefordert. Welche Mittel sind dafür aus Ihrer Sicht notwendig, damit sich möglichst viele Kommunen auf den Weg machen können?
Warnke: Aus unserer Sicht sind drei Faktoren zentral: 1. Eine langfristige Finanzierung, 2. eine Priorisierung der Schulen und 3. eine Begleitung der Kommunen und Schulen von Seiten des Landes.
Erstens: Der überwiegende Teil der Kommunen in NRW finanziert aktuell die FGZ aus den beiden Förderrichtlinien des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sowie des Ministeriums für Schule und Bildung. Diese sehen jedoch lediglich eine jährliche Befristung der Personal- und Sachkosten vor. Das führt zu Unsicherheit und hoher Personalfluktuation. Schule braucht jedoch für den Entwicklungsprozess und den Beziehungsaufbau zu den Eltern personelle Kontinuität. Wir plädieren daher für eine langfristige Perspektive in der Förderung, die den Kommunen und den Schulen in NRW Planungssicherheit bietet.
Zweitens: Um einen qualitativen Ausbau gewährleisten zu können, braucht es entsprechende Ressourcen sowie gut aufgesetzte und begleitete Entwicklungsprozesse. Wir plädieren daher für eine Priorisierung der Schulen, die besonders herausgefordert sind – getreu dem Motto: Ungleiches ungleich behandeln. Die Priorität beim Ausbau sollte dort liegen, wo der Bedarf am größten ist. Daher gilt es den Fokus zunächst auf die Schulen zu richten, an denen eine Begleitung der Kinder durch die Eltern nicht selbstverständlich ist und Familien in einem höheren Maße Unterstützung benötigen. Das wäre ein echter Beitrag für faire Chancen im Bildungssystem. Der Sozialindex des Landes NRW bietet dafür den passenden Bezugsrahmen.
Drittens: Die Weiterentwicklung einer Schule zu einem FGZ ist zudem ein Prozess. Damit er gelingt braucht es eine gute Begleitung für Kommune und Schule. Im Rahmen der beiden Förderrichtlinien wurden landesseitig Begleitstrukturen geschaffen und operativ durch das Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA) sowie die Landesjugendämter umgesetzt. Diese Begleitstrukturen seitens des Landes operieren jedoch voneinander unabhängig. Aus unserer Sicht braucht es eine einheitliche, einfach zugängliche, inhaltliche Begleitstruktur für alle Kommunen mit FGZ in NRW. Diese zentrale Begleitstruktur sollte den Kommunen und Schulen eine bereichsübergreifende Fachberatung und Prozessbegleitung zur Verfügung stellen – beim Aufbau sowie im laufenden Betrieb.
Sh: Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Melanie Kieslinger, Schule heute
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